Ein Reisebericht
Bücher zum Thema Griechenland

Kreta ist wie ein kleiner Kontinent. Die Länge bringt es mit sich, dass man von einem Norden gar nicht sprechen kann, denn der zieht sich über rund 250 km lang. Auch das Wort Nordosten ist sehr weit interpretierbar und erstreckt sich von Heraklion bis zu den Palmenstränden von VaÏ.
Der gesamte Norden hat einen unbestreitbaren Vorteil: Die Schnellstraße verbindet die Gegend von Chania im Westen der Insel bis nach Agios Nikolaos im Osten, und man arbeitet daran, diese Straße noch weiter in den verkehrsmäßig benachteiligten Osten auszubauen. Somit ist der Norden leichter erreichbar als der Süden, dessen "Eroberung" oft mit atemberaubenden Serpentinen über die Gebirgszüge verbunden ist.
Daher liegen die meisten Urlauberhochburgen in der gesamten nördlichen Region, denn hierher sind die Transporte ab den beiden Flughäfen Chania und Heraklion am unproblematischsten.
So haben sich in manchen Gegenden des Nordens aus der Sicht des Erholung suchenden Reisenden unerfreuliche Zustände entwickelt, die mit ihren Schnellrestaurants, Autoverleihs, Kneipen, Billigkaufläden und Spielstätten Ähnlichkeit mit den Massenstätten mit Mallorca aufweisen.
Eine wohltuende Ausnahme bildet im Ort Sissi das Hotel "Kalimera Kriti", auf deutsch "Guten Morgen Kreta"
Kein Hotelkasten, sondern im Bungalowstil an einer Bucht verteilt.
Die Eingangshalle ist im minoischen Stil erbaut. Die einzelnen Bungalows sind im kretischen Dorfstil konzipiert, was der ganzen Anlage einen ansprechenden Charakter verleiht.
Zuerst hat man etwas Mühe, den richtigen Weg zum Restaurant im Haupthaus durch die Vielzahl der einzelnen Häuschen zu finden. Aber an jeder Ecke erwarten den architektonischen Liebhaber neue Ausblicke und Überrraschungen.
Diese Reise ist etwas Besonderes, denn wir haben Freunde dabei, die ihr Griechenland-Debut geben - für uns als Griechenland-Liebhaber natürliche eine Herausforderung, aber auch zugleich angenehme Aufgabe.
Bei der Fahrt vom Flughafen zum Hotel zeigt sich der Vormittags-Himmel über den Bergen in einer eigenartigen Struktur, was nichts Gutes verheißt.
Eines der wohltuendsten Einrichtungen Griechenlands sind seine Tavernen - von späten Vormittag bis in den späten Abend geöffnet. Es gibt immer etwas zu essen und zu trinken, man hat keine Eile, wie bei uns in Deutschland, wo man um 14.45 Uhr schon das Gefühl hat, schneller essen zu müssen, da das Restaurant gleich schließt.
Über einige Felsen und an zwei Buchten vorbei führt der Pfad mit einigen Kletterpartien vom Hotel am Meer entlang zu dem kleinen Ortskern von Sissi. Am Meer und um die malerische Hafenbucht schmiegen sich einige Tavernen - ein schöner Einstieg für den ersten Urlaubstag. Bei dem hier so bekömmlichen griechischen Salat, ein paar sonstigen Kleinigkeiten und einem Gläschen Inselwein kehrt schnell unbeschwerte Urlaubsstimmung ein.
Der Rückweg sieht vom Himmel her etwas bedrohlicher aus: Dunkle Wolken sind aufgezogen und es blitzt und donnert, aber im Lauf des Nachmittags verziehen sich die Wolken wieder.
Das Meer ist für Ende Mai ungewöhnlich warm - eine Wohltat für den Körper.
Der nächste Morgen beginnt schon sehr früh mit Donnerschlägen, ein Gewitter der heftigsten Art beendet um 4.00 Uhr die Nachtruhe. Fast scheint es über dem Ufer zu stehen, verzieht sich etwas, um wieder zurückzukehren.
Welch eine Begrüßung für Griechenland-Novizen! Welch ein Ersteindruck! Wir hoffen auf Besserung, denn sonst würde unser Image darunter leiden.
Aber der Morgen ist wieder klar, der Himmel wieder blau.
Auf der Fahrt nach Knossos zeigen sich auf den Strassen überall die Pfützen als Reminiszenz an die gewittrige Nacht.
Knossos ist gewissermassen eine Pflichtveranstaltung frür Kreta-Urlauber, dementsprechend ist auch der Parkplatz mit Bussen und Autos gefüllt. Ein netter, aber zugleich auch routinierter Führer versucht uns in die Welt der Minoer einzuführen. Natürlich bleibt vieles hypothetisch, denn es gibt keine lesbaren schriftlichen Angaben der alten Kultur, die so plötzlich von der Landkarte verschwunden ist. Man kann nur aus den Bauten und den zahlreichen Funden, die auch aus den anderen Minoer-Stätten Phaistos, Malia und Kato Zagros ans Tageslicht kamen, Vermutungen anstellen.

Zudem weiss man nicht, inwieweit Arthur Evans, der Knossos ausgegraben hat, mit seiner Interpretation und vor allem dem vielen Zement, den er - gut gemeint zwar, aber stark verändernd - in Mengen verwendet hat, den Pfad zu falschen Schlüssen gelegt hat.
Ohne überheblich sein zu wollen, wer einmal in Ägypten war und die Baudenkmäler der Pharaonen gesehen hat, der ist was archäologische Antiquitäten anbetrifft, etwas verwöhnt. Knossos fällt dagegen leicht ab.
Wer in Heraklion - einem Flughafen mit viel Chaos - landet, begegnet seinem Namen: Nikos Kazantzakis, Kretas grösster Sohn. "Alexis Sorbas", der grossartige (Schwarz-Weiss)Film mit Anthony Quinn und Irene Papas dürfte vielen bekannt sein.
Kazantzakis versteht es, in urwüchsigen Worten und Taten die Menschen Griechenlands und besonders Kretas zum Leben zu erwecken. "Freiheit oder Tod" oder "Brudermord" sind bekannte Werke von ihm. Vor kurzem ist es mir mit etlichen Schwierigkeiten gelungen, sein längst völlig vergrffenes Werk, die "Odyssee" zu erwerben - er bezeichnet es als sein grösstes Werk.
Er war stets ein kritischer Geist, auch gegenüber der Kirche, die ihm daher ein ordentliches Begräbnis verweigerte. Sein Grab auf der Wallmauer im Süden von Heraklion ist etwas schwer zu finden. Es trägt die bemerkenswerte Inschrift

Ich befürchte nichts
Ich erhoffe nichts
Ich bin frei

Diese Worte haben mich vor vielen Jahren nachdenklich gemacht, so dass ich in einer Buchhandlung in Heraklion mir die ersten drei seiner ins Deutsche übersetzten Bücher gekauft habe. Dem Übersetzer ist es gelungen, die Farbigkeit der Sprache zu übertragen.
Die wenigsten besuchen sein Museum in dem kleinen Ort Mirtia, nicht allzuweit von Knossos entfernt.
Bei unserem letzten Besuch in dem kleinen Museum war das Licht ausgefallen, so dass wir das Museum kostenlos im Halbdunkel besuchen durften. Aber diesmal herrscht Licht und wir stehen staunend vor dem Gesamtwerk dieses einzigartigen Mannes. Eine Video-Vorführung auf deutsch rundet den Gesamteindruck ab.
Durch eine zauberhafte Spätfrühlingslandschaft geht es zurück an die Küste. Unterwegs liegt zur Linken der einzige grosse Golfplatz Kretas. Ein Athener Rechtsanwalt, dem auch der Robinson-Club in der Nähe gehört, hat ihn mit viel Mühen in die hier etwas karge Landschaft gesetzt.
Ein Abstecher nach Südosten soll einen weiteren Eindruck von der Insel vermitteln. Wir treffen alte Bekannte. Ein Tavernen-Wirt, der uns zu einem Kafes ellinikos einlädt, ein Supermarkt-Besitzer, der uns Postkarten schenkt.
Auch Chrysanthi, die Chefin einer von uns früher öfter mal besuchten Taverne in Makrigialos, kommt aus der Küche gerannt, trocknet sich die Hände ab und begrüsst uns überschwenglich. Ihrem Sohn Stefanos, dem ich vor zwei Jahren unter vielen Mühen die Weinkaraffe des Praxiteles, so habe ich sie genannt (siehe die Berichte "Kretas wilder Osten" auf diesen Seiten), regelrecht abschwatzen musste, erhält jetzt endlich sein eingefordertes Gegengeschenk - einen Frankfurter Apfelwein-Bembel, einen wahren Exoten in dieser Gegend. Ob er dieses "Stöffche" wohl goutieren würde?
Insgesamt ist der Ort Makrigialos diesmal eine Enttäuschung - wo sich sonst viele Badetouristen auf den Liegen sonnten, ist fast nichts los. Auch Leonidas, der mit viel Liebe sein minoisches Lokal führte, hat aufgegeben - die Taverne ist leer, das Mobiliar zum Teil zerstört.
Eines der typischen kretischen Sehenswürdigkeiten ist die Lassithi-Hochebene, die sich in rund 800 Meter Höhe über eine Fläche von ca 30 Quadratkilometer erstreckt. Früher einmal war das ganze Tal von malerischen Windmühlen übersät. Der Segen (oder soll man sagen, der Fluch?) der Neuzeit hat sie überflüssig gemacht. Motorpumpen haben heute zur Hochförderung des Wassers ihren Platz eingenommen, nur Mühlenruinen mit teilweise zerfledderten Segeln stehen noch in der Landschaft.
Hier auf dieser Hochebene treffen wir auf den uralten griechischen Mythos von der Entstehung der olympischen Götter.
Zeus, der Göttervater, soll hier seine Kleinkindheit verbracht haben. Seinem Vater, dem Titanen Kronos, wurde geweissagt, auch er würde dereinst von einem Sohn entmachtet werden. Also frass er kurzerhand die ersten fünf Kinder auf. Anstelle seines jüngsten Sohnes Zeus gab die Mutter Rhea dem gefrässigen Vater einen in Wolle eingewickelten Stein. Der kleine Zeus wurde derweil in der sogenannten Diktäischen Grotte auf Kreta von der Ziege Amalthea genährt. Zur ewigen Erinnerung an diese Hilfe wurde von den Astronomen ein kleiner Mond, der den Jupiter relativ nah umkreist, nach dieser Ziege benannt.


Um das Weinen des Säuglings Zeus vor dem alles verschlingenden Erzeuger zu überspielen, lärmten und tanzten die Kureten, halbgöttliche junge Männer vor dem Versteck.
Zeus hat die Höhle schon längst verlassen, ob er auch den Olymp verlassen hat - wer weiss es?
Heute steigen die Touristen in die tiefe, mit Treppen versehene Höhle hinab, zu deren Eingang ein nicht ganz unbeschwerlicher Weg führt.
Unten am Parkplatz hat ein geschäftstüchtiger Grieche eine Taverne mit dem Namen Zeus Palace eröffnet. Um dem ganzen etwas "göttliches" Lokalkolorit zu geben, schmückt eine grosse sitzende Zeus-Statue, angeblich vom Besitzer selbst dem Zeus-Bild von Olympia nachempfunden, die Terasse.
Wer im Osten Kretas unterwegs ist, sollte Spinalonga, die Lepra-Insel nicht versäumen. Von den Orten Elounda und Plaka fahren mehrmals täglich Boote zu der kleinen Insel Kalidon etwas nördlich der grösseren Insel Spinalonga. Diese kleine Insel hat eine fast abenteuerliche Geschichte hinter sich. Im 16. Jahrhundert wurde sie von den Venezianern, denen damals Kreta gehörte, zu einer gut bewehrten Festung ausgebaut, mehrere Wälle umgaben die Insel, bestückt mit Kanonen. Sie dienten dem Schutz der grossen Mirabello-Bucht, die eine Art natürlichen Hafen darstellte. Im Jahr 1669 eroberten die Türken Kreta, aber erst 1714 übergaben die Venezianer die kleine Insel.
Als Kreta wieder griechisch wurde, trieb die Polizei sämtliche Lepra-Kranken Kretas und auch einige vom Festland auf diese Insel. Häufig war es ein Abschied auf Nimmerwiedersehen und so müssen sich an den Ablegestellen der Küste herzergreifende Szenen abgespielt haben. 1903 - 1957 erfüllte die Insel ausschliesslich diesen Zweck. Die Kranken richteten sich wie in einer normalen Stadt ein und schufen eine Reihe von Sozialgebäuden.
Jetzt registrieren die Tagestouristen mit einem leichten Schaudern das Schicksal dieser Infekt-Diaspora.
Der Flieger gen Frankfurt geht erst am frühen Abend. Zeit, um noch einmal die Wärme der Ägäis zu geniessen und um letztmalig dem kleinen Hafen von Sissi einen Abschiedsbesuch abzustatten. Die Taverne direkt am Wasser lockt mit herrlichen frischen Sardinen vom Grill, dazu ein leichter kretischer Wein. Zeus wusste wohl, warum er hierher mit Europa floh.
Dann wird auch diese Woche wiederum Geschichte.

Näheres zu allen Büchern unter
www.literatur.drvolkmer.de


Athos - Unterwegs im Darten der Gottesmutter


Die Odyssee - Eine psychologische Reise nach
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Die Dichterin Sappho

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Für Liebhaber der griechischen Götterwelt


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